Das Aktionsjahr
Aktionsjahr 2002/2003
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Wien, im Mai 2003

Vielfalt lohnt sich -
ein Weg für das österreichische Schulsystem

hier als (pdf) und (doc) ladbar


"Vorteile für alle"
statt
"Diskriminierung der Schulen in freier Trägerschaft"


Die Ausgangssituation:

Unsere Welt ist zunehmend eine Welt des permanenten Wandels. Wissen und Fähigkeiten sind stark betroffen, die Halbwertszeit des Gelernten wird immer geringer, Fähigkeiten wie Flexibilität, Selbstorganisation, Kooperationstalent und selbstbewusstes Auftreten gewinnen immer stärker an Bedeutung.

Die Schule ist hiervon massiv getroffen: Lehrpläne und Lehrer- wissen müssen stetig adaptiert werden, der Lebenswirklichkeit angepasst werden. Die Gefahr hierbei:
Durch erhöhte Anstrengung, durch ein Mehr an Einsatz, Zeit und Energie aller Beteiligten, wird versucht ein Mehr an Faktenwissen zu vermitteln.

Trotz dieser Anstrengung ist aber viel des so gewonnenen "Wissens" - soferne nicht schon kurz nach der Schularbeit verloren - bereits obsolet, bevor das Kind die Schule verlassen hat. Gleichzeitig wird die Zeit, die für "soziale Kompetenzen", wirkliches "Begreifen" von Zusammenhängen und "individuelles Erarbeiten" von gewählten Interessen zur Verfügung steht, reduziert.

Veränderungsbedarf

All dies ist bekannt: die Schule hat Veränderungsbedarf. Es gilt Abschied zu nehmen von der Vermittlung "lexikalischen" Wissens und sich hinzuwenden zu einer "prozeduralen" Befähigung der SchülerInnen. Gefragt sind weniger anekdotenhafte Wissensspeicher la Millionenshow, als vielmehr Menschen, die - vor einem neuen Problem stehend - dieses kompetent und zielstrebig einer Lösung zuführen.

Das Problem dabei: Arbeitsstile und Herangehensweisen sind so individuell wie die Menschen selber und lassen sich nicht "auswendig" lernen.

Vielfalt ist hier gefragt und eine am Individuum orientierte Erarbeitung von Arbeitsstilen an praktischen Beispielen.

Veränderung in Österreich

Veränderung und Vielfalt werden von der Schule erwartet - zwei Bereiche, die der öffentlichen Schule in altösterreichischer Tradition nicht leicht fallen. Trotz vieler Schulversuche fällt es ihr schwer der benötigte "Tummelplatz neuer Ideen" zu werden.

Veränderungen werden meist von außen angestoßen und haben oft erst dann eine Überlebenschance in der Wirklichkeit der öffentlichen Schule.

In Österreich nehmen vielerorts die Schulen in freier Trägerschaft die notwendige Veränderungsfunktion wahr: Alternativschulen, Montessorischulen und Waldorfschulen leben und erarbeiten Konzepte, die - wenn sie übertragbar sind - oft in einer "light"- Version auch ihren Platz in öffentlichen Schulen finden.

Wenn es ums Leben und Erarbeiten neuer Konzepte geht, haben die Schulen in freier Trägerschaft große Vorteile: Meist schlank in ihrer Strukur und relativ autonom zur staatlichen Schulaufsicht finden sich hier Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen, die in ihrer prinzipellen Herangehensweise an Pädagogik sich weit mehr ähneln, als es in einer öffentlichen Schule - deren Zusammensetzung sich ja zumeist durch ihren Standort definiert - je möglich sein kann.

In diesen Schulen werden innovative pädagogische Überlegungen und Projekte mit einer Selbstverständlichkeit durchgeführt, die die öffentliche Schule aufgrund ihrer Zusammensetzung nicht erreichen kann. Erst wenn pädagogische Vorstellungen praktisch durchgeführt und erprobt sind, ist es der öffentlichen Schule möglich diese schrittweise in ihrer Unterrichtswirklichkeit durchzusetzen und zu integrieren.

Die Schulen in freier Trägerschaft haben in sich ein großes, das gesamte Schulsystem befruchtendes Potential. Leider sind sie bis dato in Österreich durch eine massive finanzielle Ungleichbe- handlung in ihrer Entwicklung und Wirkung stark beeinträchtigt:

Während für ein Kind im öffentlichen Schulwesen pro Jahr ca. EUR 6800,- zur Verfügung stehen und für ein Kind in einer konfessionellen Privatschule noch immer 80% dieses Betrages über den gesetzlichen Anspruch der Personalsubvention aufgewendet werden, erreichen Kinder aus einer Schule in freier Trägerschaft im besten Fall 680,- Euro pro Jahr. Also maximal 10%.
Dies bedeutet, dass ein Großteil der Energie, die den Schulen in freier Trägerschaft innewohnt für die reine Existenzsicherung der Schulen aufgewendet werden muss und nur ein geringer Teil der potienziell an diesen Schulen interessierten Menschen überhaupt daran teilnehmen kann.

Moralisch jedenfalls ist diese Situation zutiefst ungerecht:
Einerseits finanzieren die Eltern aus Schulen in freier Trägerschaft mit ihren Steuern das öffentliche Schulsystem mit. Andererseits sind Eltern und LehrerInnen zur Selbstausbeutung gezwungen um den Schulbetrieb der gewählten Schule überhaupt ermöglichen zu können. Dies widerspricht eindeutig dem Menschenrecht auf Bildungsfreiheit, nach dem alle Eltern das Recht haben frei die Ausbildung ihres Kindes zu wählen.

Ein Lösungsansatz

Zum einen muss das österreichische Schulsystem vielfältiger, beweglicher und lebendiger werden um sich den zunehmenden Veränderungen besser anpassen zu können und schneller innovative Ansätze aufnehmen zu können.

Zum anderen ist es essentiell die Schulen in freier Trägerschaft zu stärken. Der große Vorteil hierbei: Es handelt sich hier um eine der seltenen "win-win" Sitationen, eine Maßnahme, die keinen Verlierer hat.

Eine Stärkung der Schulen in freier Trägerschaft erfolgt am besten durch einen gesetzlichen Anspruch der Kinder auf Finanzierung der Schulkosten bei Besuch einer (auch nicht- konfessionellen) Privatschule - Stichwort "Wahlschulgutschein". Im Ausmaß könnte diese Zahlung - wie bei den konfessionellen Privatschulen - 80% der Aufwände des Staates für ein Schulkind betragen und dann fällig werden, wenn ein Kind eine Schule in freier Trägerschaft - eine Wahlschule - besucht. Um die wertvolle Autonomie der Schulinitiativen zu wahren, muss - im Unterschied zur aktuellen Regelung für konfessionelle Privatschulen - die Personalhoheit bei den freien Schulen belassen werden.

Die Vorteile: "win-win Situation"

Die finanziellen Aufwände, die bei einer Gleichstellung der SchülerInnen aus Schulen in freier Trägerschaft anfallen würden können als Investition angesehen werden, die sich vielfach nach kurzer Anlaufzeit rentiert:

Durch das Engagement der Eltern und LehrerInnen in Schulen in freier Trägerschaft wird möglich:
  • Höhere Effizienz der eingesetzten Mittel: Privatschulen können durch freiwillige Mithilfe der Eltern per se günstiger arbeiten - mehr der aufgewendeten Mittel erreicht die SchülerInnen im Unterricht.
  • Merkbare finanzielle Ersparnisse sobald die Zahl der Wahlschulen und ihrer SchülerInnen entsprechend anwachsen: Der maximal mögliche Anteil an SchülerInnen in diesen Schulen dürfte bei 5% liegen, wodurch 1% der gesamten Bildungskosten eingespart werden könnten. Derzeit besuchen nur 0.3% der österreichischen SchülerInnen eine Schule in freier Trägerschaft. (Eines der vielbemühtesten Argumente gegen eine Förderung der Schulen in freier Trägerschaft ist, dass eine Förderung aktuell nur als Ausgabe betrachtet werden kann, da aufgrund unserer geringen SchülerInnenanzahl keine Kosten im öffentlichen Schulsystem "erspart" werden. Ein zwiespältiges Argument, da es einerseits die Möglichkeit ein weiteres Einsparungspotiential auszubilden verhindert und andererseits falsch ist: Würden alle SchülerInnen aus nichtkonfessionellen Schulen in freier Trägerschaft in die öffentliche Schule wechseln, würde dies sehr wohl finanziell merkbar werden.).
  • Positiver beschäftigungspolitischer Einfluss, da die besprochenen Schulen personalintensiver arbeiten (Betreuungsverhältnis 1:10).
  • Durch bessere Möglichkeiten der Gestaltung des eigenen pädagogischen Umfelds höhere Motivation und größere Leistung der LehrerInnen.
Da sich die Privatschulen in freier Trägerschaft durch gemeinsames pädagogisches Interesse definieren:
  • Lebendige Entwicklung neuer pädagogischer Ansätze ohne massive interne Widerstände, wie sie im öffentlichen Schulsystem durch die oft heterogene Eltern/LehrerInnenzusammensetzung nicht zu vermeiden sind.
Auswirkungen auf die öffentliche Schule:
  • Eisbrecherfunktion für innovative pädagogische Ansätze im öffentlichen Schulsystem durch positive Beispiele der Machbarkeit der innovativen pädagogischen Ansätze.
  • Mehr Möglichkeiten des pädagogischen Austauschs durch ein Mehr an nichtkonfessionellen Privatschulen.
  • Positive Konkurrenz: ohne für die öffentliche Schule eine Bedrohung darzustellen oder darstellen zu wollen, ist eine engagierte Schule in freier Trägerschaft eine positive Konkurrenz für benachbarte öffentliche Schulen, da die Leistungen und Herangehensweisen durch die Eltern verglichen werden. Dies bewirkt, dass auch in der öffentlichen Schule vielerlei, was sonst untergehen würde, machbar wird.
  • Alternative Angebote für LehrerInnen und SchülerInnen, die im öffentlichen Schulsystem nicht gut aufgehoben sind.
Moralisches:
  • Erfüllung des Menschenrechts auf Bildungsfreiheit
  • Beseitigung einer massiven Ungleichbehandlung
  • Unterstützung von Privatinitiativen
  • Stärkung der Bürgergesellschaft
Beispielhaftes:
  • Unsere Schulen definieren sich aufgrund eines pädagogischen Konsensus. Denkbar ist jedoch auch eine Auswirkung auf andere gemeinsame Interessen - z.B. eine private Elterninitiative, die ihre von der Schließung bedrohte lokale Schule weiterbetreiben möchte und - wenn gefördert - so die lokale Schulversorgung weiter durchführen kann.

Zusammenfassung

Um den aktuellen und kommenden Anforderungen entsprechen zu können muss das österreichische Schulsystem lebendiger und vielfältiger werden. Um dies zu bewirken, wird vorgeschlagen die Privatschulen in freier Trägerschaft zu fördern um ihren positiven Einfluss (pädagogisch und finanziell) für das gesamte österreichische Schulsystem nützen zu können.

Ernst C. Zach, 14.07.2003

EFFE-Österreich

Bund der freien Waldorfschulen in Österreich
Kuratorium für künstlerische und heilende Pädagogik
Netzwerk - Bundesdachverband für selbstbestimmtes Lernen
Österreichische Gesellschaft für Montessori-Pädagogik
Version: 14. Juli 2003 (EcZ)